Wenn ich die Beiträge dieser Kolumne mit „Mein ABC für Ihren Digitalen Wandel“ überschrieben hätte, könnte ich sagen, dass wir am letzten Montag beim Buchstaben D angekommen sind. D wie #DLD16, #Diversity oder #Disruption.

„Wer heute noch die (jungen) Unternehmensgründer, die teilweise die Logistik [Tipp der Kolumnistin: Setzen Sie hier Ihre Branche ein!] und ihre Prozesse völlig neu erfinden, als Kinderkram abtut oder sogar als Konkurrenz bekämpft, sei gewarnt. Die allgegenwärtige ‚Disruption‘ macht auch vor grundsoliden, traditionellen Betrieben nicht halt. Disruption bedeutet Revolution. Eine neue Idee ändert auf einen Schlag alles. Alte Firmen gehen unter, neue tauchen auf und nehmen sich alles. Im Zweifel kommen diese Eroberer in der Person von Tellerwäschern oder Nerds, die in der Garage von Papa herumwerkeln, daher.“

Diese wunderbaren Worte hätten von mir sein können. Sind sie aber nicht. Ihr Schöpfer heißt Harald Ehren, einst Wirtschaftsredakteur bei FTDFAZ und manager magazin, seit kurzem Chefredakteur des Logistik-Fachblattes Deutsche Verkehrszeitung (DVZ).

Ehren hat es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, seine Jungs beim Verkehr zu stören, wenn er schreibt: „Es sind aber nicht die Verbände in der Pflicht. Dringender Handlungsbedarf liegt bei den Eigentümern, Managern und Geschäftsführern der etablierten Firmen, die früher teilweise selbst ‚Absolute Beginner‘, also Start-ups, waren. Haben sie die Mühen und Überlebenskämpfe der Anfangszeit vergessen? So oder so sind sie gezwungen, noch vielmehr ihr Geschäftsmodell zu hinterfragen und sich dabei von Start-ups inspirieren zu lassen. Sie sollten das Momentum nutzen und als Investoren agieren.“

Pass dich an. Oder stirb langsam.
Starker Tobak. Und das vom obersten Schreiberling einer Branche, die gern als langweilig und verstaubt belächelt wird. Ehren warnt vor der Revolution, die ihre Kinder frisst. „Alte Firmen gehen unter, neue tauchen auf und nehmen alles“ – bedrohlicher als die DVZ hätte die Bild-Zeitung der 1990er Jahre auch nicht titeln können. Pass dich an. Oder stirb langsam. So wie die Dinosaurier. Die immer trauriger wurden, weil – das wissen wir seit Lonzo (1980) – nicht an Bord der Arche Noah passten.

Disruption also. Disruption heißt „Zerstörung“ oder „Unterbrechung“. In der Technologie steht der Begriff für neue Entwicklungen oder Produkte, die unerwartet auf den Markt gebracht werden, oft noch nicht ausgereift sind und erst einmal für den Kunden als uninteressant erscheinen. Wenn sie kontinuierlich weiterentwickelt werden und Vorteile gegenüber bekannten, aber veralteten Produkten aufweisen, haben sie das Potential, die Marktführerschaft zu erlangen. Disruptiv waren Autos (vs. Pferdewagen), Personalcomputer (vs. Schreibmaschine) oder Steaming-Dienste.

Disruptiv sein ist heute auch bei Entscheidern gefragt
Sie erinnern sich sicher an meine Lieblingsstudie Disruptors: Five Characteristics That Differentiate Transformational Leaders der Personalberatung Russel Reynolds, in der diese fünf Kriterien als Erfolgsfaktoren für Digital Leadership identifiziert worden sind: disruptiv und innovativ sein, mutig in der Führung, sozial hoch kompetent und entschlossen.

Unter „disruptiv in der Führung“ verstehe ich beispielsweise, Bewährtes auf den Prüfstand zu stellen. Jeder Produktionsprozess, jede Stellenbeschreibung und jede Form der Zusammenarbeit sollte neu gedacht werden (Ist das wichtig oder kann das weg?). Vereinfachung, Reduktion, Kaizen, aber auch Werteorientierung und Nachhaltigkeit sind Stichworte zum disruptiven Führen. In Konzernen und von QM-Prozessen getriebenen, schwerfällig agierenden Unternehmen, bedeutet Disruption in der Führung auch, unternehmerisch zu denken und in den digitalen Wandels zu investieren. Und wer die Veränderung inhouse nicht schafft, kauft sich Innovation und Disruption ein und investiert in ein passendes Start-up, rät Chefratgeber Harald Ehren seinen Logistikern.

Niemand ist vor der Disruption gefeit
Das machen ja auch die TV-Löwen so. Und Gisbert Rühl, Vorstandschef des Duisburger Stahlhändler Klöckner & Co SE. Wie er Holger Schmidt, dem FOCUS-Chefkorrespondent für digitale Wirtschaft, in einem Interview auf dessen Privat-Blog Netzökonom verrät, ist auch CEO Rühl fest davon überzeugt: „Keine Industrie ist vor der Disruption gefeit“.

Was Rühl beschreibt, deckt sich mit all den Change-Theorien von Kotter & Co.: Eine Branche, eine Industrie oder ein Unternehmen muss erst einmal richtig unter Druck stehen und spüren, das Veränderungen nötig sind, bevor es sich in Richtung Zukunft bewegen kann. Im lesenswerten Interview mit Schmidt sagt der moderne Stahlbaron: „Das Bewusstsein in der Belegschaft, dass sich etwas verändern muss, hilft. Ich habe meinen Mitarbeitern auf der einen Seite ungeschminkt aufgezeigt, dass unser altes Geschäftsmodell in Teilen nicht mehr funktioniert. Auf der anderen Seite habe ich aber auch klargemacht, dass für den digitalen Vorreiter einer Branche große Chancen bestehen, sich vom Wettbewerb zu differenzieren und Marktanteile hinzuzugewinnen. Das sollte Ansporn genug sein.“

Und weiter über Disruption: „Ich kenne kein Unternehmen, das sich von innen heraus selbst ‚disruptet‘ hat. Es geht nur mit ausgelagerten Einheiten. Das Ergebnis muss dann aber nach innen transformiert werden, ohne dass das die Organisation auseinander bricht. Das ist dann die echte Management-Aufgabe.“

Der Mix ist das richtige Rezept
Klöckner hat in Berlin eine Digitaleinheit aufgebaut, in der die neuen Mitarbeiter, die von Amazon, Ebay, Rocket Internet kommen oder in Start-ups, die vom Duisburger Stahlhändler finanziert werden, disrupten. Dazu Rühl: „Wir brauchen auf der einen Seite weiterhin bewährte Kräfte, die unsere Industrie kennen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Mitarbeiter eingestellt, die die Digitalisierungsexpertise einbringen und helfen, die Stahldistribution aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dieser Mix scheint das richtige Rezept zu sein – darauf deuten zumindest die erfreulichen Fortschritte hin, die wir bei der digitalen Transformation zuletzt erzielt haben.“

Am besten gefällt mir aber der Satz im Schmidt-Gespräch, der zeigt, dass der Klöckner-Chef ein wahrer digital Leader ist, der entschlossen nach vorn schreitet und keine Angst davor hat, dass die Revolution ihre eigenen Kinder frisst: „Ich selbst bin jetzt 56 Jahre alt. Noch bin ich (der) Treiber des Wandels.“

Ganz ehrlich: Das imponiert mir sehr. Ich wünsche uns mehr Entscheider in Deutschland, die sagen „Wir schaffen das“ – in der Wirtschaft. Und in der Politik.

Also, denken Sie disruptiv. Und machen Sie’s gut. Bis es wieder heißt: Thank God, it’s Leadership Monday.

Ihre Christiane Brandes-Visbeck