New Work braucht Narrative. In ursprünglicher Übersetzung aus dem Lateinischen bedeutet das einfach „Erzählungen“ – aber gemeint ist mehr als das: Narrative sind sinnstiftende Erzählungen, die Einfluss darauf haben, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und beurteilen. Sie transportieren Werte und Emotionen. Sie sind in der Regel auf einen bestimmten Kulturkreis bezogen und unterliegen dem zeitlichen Wandel. Narrative setzen einzelne Elemente in einen Kontext und bestimmen damit, wie Menschen eine Tatsache wahrnehmen und beurteilen. Sie formen unsere Wahrnehmung von Realität und damit auch die Welt, in der wir leben.

Narrative sind keine beliebigen Geschichten, sondern etablierte Erzählungen, die mit einer Legitimität versehen sind. Ein verbreitetes „Narrativ“ aus den USA ist zum Beispiel „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, im krisengeplagten Europa waren es Erzählungen wie das Märchen von „Hans im Glück“, der ohne Besitz am glücklichsten war. Heute schaffen es vor allem rechte Populisten, Narrative bei ihren Zielgruppen zu positionieren.

Und warum braucht nun ausgerechnet New Work solche „sinnstiftenden Geschichten“? Weil der Begriff „New Work“ im Moment zum Buzzword zu verkommen droht. Unternehmen stellen reihenweise Kickertische auf, schaffen Großraumbüros, schenken den Mitarbeiter*innen Sneaker, es gibt Mate – und dann hoffen sie, dass dies als Maßnahmen für den Kulturwandel reicht. Das tut es natürlich nicht, und deshalb braucht New Work überzeugende Geschichten.

Heldenreise in eine unbekannte Welt

Tatsächlich trägt New Work Kernbotschaften mit unglaublich positiver Energie in sich, wie beispielsweise „Führung auf Augenhöhe verspricht einen Kulturwandel zu mehr Selbstorganisation“, „Leadership ist keine Position, sondern eine Rolle“, „Es gibt bessere Ergebnisse, wenn sich die MitarbeiterInnen selbst organisieren, weil Vorgesetzte oft Produktivitätsbremsen sind“. Wenn Führungskräfte und Mitarbeiter*innen auf verschiedenen Ebenen solche Geschichten erzählen und authentisch vorleben, kann das anstecken und zu großer Motivation führen.

Zum anderen braucht New Work inspirierende Heldengeschichten – Erzählungen von Menschen, die den Übergang von der alten in eine neue Arbeitswelt selbst erlebt und gestaltet haben. Für meine Fachbücher über New Work und Digital Leadership habe ich mit solchen Menschen gesprochen – die, wie in einer klassischen Heldengeschichte, sich von der bekannten Welt des klassischen Angestellten mit Arbeitsaufträgen in die unbekannte Welt des selbstbestimmten Arbeitens getraut haben. Dort finden sie ihre Edelsteine, also Methoden und Tools sowie Weggefährt*innen, mit denen sie gemeinsam den Unwägbarkeiten der neuen Arbeitswelt begegnen – und so den Kulturwandel zu „New Work“ testen und vorleben.

Es gibt zahlreiche solcher inspirierenden Hero’s Journeys: beispielsweise die von Sabine Bendiek, CEO von Microsoft DACH, die den Kulturwandel für die Arbeit mit Kollege KI gestaltet. Oder die Geschichten über die Leadership-Experimente von Stephan Grabmeier, zuerst bei Haufe Umantis und jetzt Kienbaum. Oder die Erlebnisse des Coworking-Vorreiters Tobias Kremkau.

All diese Heldenreisen können uns dazu anregen, auch über die Sinnhaftigkeit unserer eigenen Tätigkeiten nachzudenken und unsere Arbeitsweise entscheidend zu verändern. Ich habe bei meiner Arbeit als Innovatorin in ganz unterschiedlichen Kontexten und Funktionen die Erfahrung gemacht, dass Menschen erst dann umdenken, wenn sie von einer neuen Lebensperspektive erfüllt sind, die ihnen ein sinnvolles, glücklicheres und dadurch auch weniger beschwerliches Leben verheißt.

„Wir sind die Guten“

Ganz konkret habe ich das als Kommunikationschefin einer Sparda-Bank erlebt. Das war in einer Zeit, in der das Narrativ „Alle Banker sind Betrüger“ sehr verbreitet war. Um das zu entkräften, haben wir nach einem anderen Narrativ gesucht, einer positiven und sinnstiftenden Geschichte aus der DNA des Finanzinstituts. Dabei bin ich auf die Anfänge der Bank aufmerksam geworden: Sparda-Banken entspringen Selbsthilfevereinen von Eisenbahnern, die ihren Kollegen Geld liehen zu einer Zeit, als der Lohn nur vierteljährlich ausgezahlt wurde. Familien, die nicht so gut mit Geld umgehen konnten oder große Verpflichtungen hatten, kamen am Ende des Quartals oft in Geldnot und hungerten. Weil andere Eisenbahner dieses Elend nicht aushalten konnten, halfen sie quasi institutionell aus.

An dieses Gründungsnarrativ der Sparda-Welt haben wir die Kollegen und Kunden erinnert. Das Narrativ „Wir helfen Menschen, wenn wir sie mit unserer Arbeit in Finanzangelegenheiten unterstützen“ führte zu großer Motivation bei den Mitarbeitern, weil die plötzlich das Gefühl hatten: „Wir sind die Guten“. Es war auf einmal okay für Bankberaterinnen, viel Zeit mit ihren Kundinnen zu verbringen, ohne hardcore Produkte verkaufen zu müssen. Auch das Recruiting lief mit diesem Narrativ besser.

Kollege KI – statt Arbeitsplatzvernichter

Auch bedrohlich wirkenden Szenarien über die Zukunft der Arbeitswelt, die unter anderem über klassische Medien verbreitet werden, sollten wir mit neuen Erzählungen begegnen: Statt „Künstliche Intelligenz, Algorithmen und Roboter werden deinen Job ersetzen“ sollten Unternehmen von „Kollege KI“ sprechen oder die Mitarbeiter*innen fragen, was sie sich für ihren Job von KI versprechen. So kehren sie die Angstmacher-Narrative in positive Energie um.

Dies hat Frithjof Bergmann bei General Motors getan, als er in den 70ern eine Entlassungswelle verhinderte und damit die Anfänge des New Work gestaltete. Er plädierte dafür, dass die Mitarbeiter*innen, die durch neue Technologien weniger zu tun hatten, nicht entlassen werden sollten, sondern die neu gewonnene Freizeit, vom Unternehmen bezahlt, in ihre persönliche Weiterentwicklung zu ihrem Nutzen und dem des Unternehmens investieren konnten.

Diese Idee vom Growth Mindset ist eines der stärksten Narrative für New Work. Satya Nadella, der Microsoft leitet und vom „Time“-Magazin zu einem der einflussreichsten Menschen unseres Zeitalters gekürt wurde, sagt sinngemäß dazu: „We are moving from a culture of a group of people who know it all to a culture of a group of people who want to learn it all.“ Diese soziologische Aussage sollte sich auf die Lebenswirklichkeit aller Menschen beziehen: Um in einer unsicheren und alles verändernden Zukunft zurechtzukommen, sollten wir uns von der Kultur der Alles- und Besserwisser zu einer Kultur der gemeinsam Lernenden entwickeln.

Als Lernende, die offen sind für neue Ideen sowie alternative Lebens- und Arbeitsformen. Menschen, die wegen der zunehmenden Digitalisierung vielleicht weniger arbeiten müssen und sich die Zeit nehmen können, um herauszubekommen, was sie „wirklich, wirklich“ wollen. Denn, so Bergmann, wer wisse, was ihn oder sie antreibt, und entsprechend seine Arbeit gestalte, könne niemals arm sein – egal was auf dem Gehaltszettel steht. Dies nenne ich eine mächtige Geschichte, ein zeitgemäßes Narrativ für New Work.